Politik in den offenen Raum der Geschichte hinein
Ein Interview mit Tobias Schweiger über die politische Bedeutung der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der KPÖ
Von Andreas Wintersperger
Die Platypus Review Ausgabe #19 | Mai/Juni 2022
Tobias Schweiger ist seit Juni 2021 einer von sechs BundessprecherInnen der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ). Davor war er federführend im Aufbau der Jungen Grünen (JG) aktiv. Nach deren Ausschluss aus der grünen Bundespartei 2017 war er einer der Mitbegründer der unabhängigen linken Jugendorganisation Junge Linke (JL). Zusätzlich organisierte er in Bremen Kapital-Lesekreise für die Rosa-Luxemburg-Stiftung und war bei der antideutschen Gruppe associazione delle talpe aktiv.
Das Interview wurde am 28.07.2021 von Andreas Wintersperger geführt. Er ist Mitglied des Wiener Chapters der Platypus Affiliated Society. Es folgt eine gekürzte und editierte Version des Gesprächs.
Andreas Wintersperger: Wie bist du zur Linken gekommen? Was hat dich dazu gebracht, dich in der Linken zu engagieren?
Tobias Schweiger: Das beginnt sehr früh auf der Ebene des politischen Interesses, das mein Vater sehr gefördert hat, indem wir gemeinsam die Abendnachrichten angesehen haben und er mich, zumindest seit ich sechs war, immer wieder danach gefragt hat, wie ich das eigentlich wahrnehme, was da passiert. Dementsprechend wurde ich auch in meinen Interessen unterstützt. Irgendwann dann muss es passiert sein, dass ich das Kommunistische Manifest gelesen habe. Ab diesem Zeitpunkt war es logisch, dass ich wohl zur Linken gehen werde. Das Kommunistische Manifest hat mich damals sehr beeindruckt, auch wenn ich im Nachhinein das Gefühl habe, damals eigentlich nichts verstanden zu haben. Daraufhin bin ich in eine Art Latenzzeit zurückgefallen, bis ich Sechzehn geworden und in die autonome Szene in Graz reingerutscht bin. Dort habe ich dann Häuser besetzt, bei Antifa-Sachen mitgemacht und irgendwann bundesweite Antifa-Mobilisierungen organisiert. So bin ich dann im Umfeld der grünen Jugendorganisation gelandet. Durch meine eigene Frustration damit, dass nichts weiterging und durch das, worauf mich andere gestoßen haben, habe ich beschlossen, dass es einen anderen Zugang braucht als diese autonome Herangehensweise an Themen, die mich aber weiterhin interessiert haben. Eigentlich habe ich mich aber nie als Grünen gesehen und mir in diesem Umfeld auch immer schwergetan. Es hat sich schließlich zusammen mit ein paar anderen Leuten die Gelegenheit ergeben, im Rahmen der grünen Jugendorganisation einen Neustart zu machen: Wir haben dann die JG gegründet.
Wann war die Gründung der JG?
2008 bis 2010 war der Prozess, 2010 war dann die formale Gründung. Das Projekt hat mich damals begeistert: Zu sagen, man weiß welches Milieu so eine grüne Jugendorganisation eigentlich ansprechen könnte, versucht genau diese Leute anzusprechen und sie dann zu MarxistInnen zu machen. Warum genau, war damals nicht so wirklich klar, wir haben uns als politischer Durchlauferhitzer verstanden und das über ein paar Jahre aufgebaut. Irgendwann hat sich der Moment eingestellt, an dem ich das Gefühl hatte, dass ich eigentlich selbst nicht mehr weiß, wohin das ganze weiterführen soll. Gleichzeitig boten sich mir sehr wenige Exit-Optionen, da ich ja schon politisch aktiv bleiben wollte. Das war der Moment, an dem ich festgestellt habe, dass ich wohl zu einem Sektenführer werde, wenn ich nicht gehe. Daraufhin bin ich dann für fünf Jahre nach Deutschland gegangen. Dort habe ich relativ wenig gemacht, außer gefühlsmäßig alle Bücher zu lesen, die ich davor nicht lesen konnte, weil ich mir die Zeit nicht genommen habe. Nach Österreich bin ich erst wieder gekommen, nachdem die JG aus der Partei Die Grünen rausgeflogen sind. Das war 2017, Sarah Pansy und ich erkannten damals, dass etwas so weit in Bewegung geraten ist, dass man wieder ins aktive Geschäft einsteigen und weiterarbeiten kann. Aus jeder dieser Etappen hat sich immer wieder eine neue Perspektive eröffnet und aus Reflexion auf die zuvor gemachten Erfahrungen, eine Vorstellung, wie man diese Sachen miteinander vermitteln kann. Auch wenn ich nicht erwartet hätte, dass ich Bundessprecher der KPÖ werde, ergibt das bis zu einem gewissen Grad schon alles Sinn.
Zur KPÖ: Du bist am KPÖ-Parteitag im Juni 2021 mit Sarah Pansy und vier weiteren zu einem Team von sechs BundessprecherInnen gewählt worden. Nun ist die KPÖ mit ihrer Gründung im November 1918 eine der ältesten kommunistischen Parteien der Welt, die heute noch denselben Namen trägt. Ist die rein historische Tatsache ihres langen Bestehens und vor allem die vielen Umbrüche, die sie durchlaufen hat, für dich in deiner Arbeit als Bundessprecher eher ein Hindernis oder ein Vorteil?
Auf eine gewisse Art und Weise sicher beides: ein Hindernis insofern, als ich das Gefühl habe, dass sich in der KPÖ wie in den meisten Teilen der Linken reflektiert, dass man zwar in einer Kontinuität zur Geschichte der Linken steht, aber weder einen entspannten noch einen griffigen Umgang mit dem eigenen Scheitern gefunden hat. In der KPÖ gibt es sehr viele verschiedene Emotionen, die ich schwer auf einen Punkt bringen kann. Es gibt eine Art Schuldgefühl, aus der heutigen Perspektive zu bestimmten Zeiten auf der „falschen Seite“ gestanden zu haben. Aber auch gleichzeitig einen Unwillen, die Angebote zur Weiterentwicklung, die man aus den eigenen Reihen bekommen hat, anzunehmen. Teilweise aus verständlichen aber auch aus unverständlichen Gründen heraus. Ich glaube bis zu dem Zeitpunkt, zu dem wir jetzt gewählt wurden, war es üblich, Dinge zu wiederholen, ohne sie aufgearbeitet zu haben und gleichzeitig nicht damit zurecht zu kommen, diese Geschichte zu haben. Man kann nicht mit ihr und man kann nicht ohne sie. Das ist insofern ein Hindernis für die konkrete Arbeit mit Leuten oder mit Zusammenhängen von Leuten in der Partei. Die andere Seite der Geschichte ist, dass, selbst wenn diese Situation immer noch andauert, dadurch auch Vorteile entstehen. Ich kenne niemanden, der mir sagen kann, was die nächsten Schritte für eine kommunistische Partei wären, um auch tatsächlich wieder in einem kommunistischen Sinn Zugriff und Einfluss auf gesellschaftliche Bewegungen zu gewinnen und dort zu gestalten. Allerdings, und das ist für mich schon eine Voraussetzung: Es geht darum, wieder als kommunistische Partei und als kommunistische Bewegung, Einfluss- und Gestaltungsmacht über gesellschaftliche Bewegungen zu bekommen. Das heißt, über diese Geschichte hin stellen sich gewisse Fragen zwar trotzdem, das gipfelt dann in dieser Namensdebatte, die de facto jetzt beendet ist. Ich finde das ist etwas, was es einfacher macht, bestimmte Pflöcke im Boden zu halten.
Der Name?
Zum Beispiel, ja. Der Name und die dazugehörigen Traditionslinien. Also Leute, zu derer persönlichen Geschichte es noch gehörte, das Überleben von kommunistischen Regimen im Kalten Krieg mitbegleitet und zu ihnen beigetragen zu haben. Das sind Materialisierungen von historischen Gewissheiten, die zwar mittlerweile sehr ungewiss sind, die aber von neuem durchzusetzen ich mich ad hoc nicht in der Lage sehen würde. Oder wo ich merke, dass viele Kommunistinnen und Kommunisten daran in anderen Ländern scheitern. Es ist halt ein zweischneidiges Schwert.
Die KPÖ erwies sich seit ihrer „Bolschewisierung“ oder seit der Bolschewisierung der Dritten Internationale durch Stalin bis hin zum Fall der Sowjetunion schlussendlich immer wieder als getreue Verfechterin der jeweiligen politischen Linien und Losungen, die aus Moskau gekommen sind. Das sieht man auch unter anderem an der parteiinternen Auseinandersetzung mit dem Eurokommunismus während der Krise der Neuen Linken. Wie beurteilst du konkret das historische Verhältnis der KPÖ zur Sowjetunion beziehungsweise die stalinistische Vergangenheit der KPÖ? Und daran ansetzend: Welchen Einfluss nimmt diese „materialisierte Geschichte“ auf deine Arbeit als Bundessprecher? Hast du auch ein Schuldgefühl? Spielt es für dich überhaupt eine Rolle in deiner konkreten Arbeit als Bundessprecher?
Ja und auch nein. Ich habe das Gefühl, eher mit der versuchten Bearbeitung davon zu tun zu haben und damit, welche Resultate das jeweils gezeitigt hat. Oder anders formuliert: Ich begegne dem jetzt einmal prinzipiell, auch wenn ich es oft besser weiß, naiv, weil man die Leute kennt und einen demnach die Frage beschäftigt, wie es möglich war, dass diese Leute, die mit sehr wachem Geist teilweise auch die heutige Situation beurteilen können – obwohl die, für die das gilt, heute zu einem großen Teil sehr alt oder verstorben sind –, sich derartig der eigenen politischen Gestaltungsfähigkeit und Verantwortung entschlagen haben und sich so derartig abhängig gemacht haben. Das lässt sich auf den unterschiedlichen Ebenen alles im Nachhinein rationalisieren. Da bestehen ökonomische Verflechtungen, da ist man isoliert, ob des Antikommunismus wegen, den man noch damit perpetuiert, wie man sich einrichtet oder wegen tausender anderer rationaler Gründe, bis die Situation so ist, wie sie ist. Es sind für mich immer diese Anfangsmomente, wo ein Staunen überbleibt, weil ich es mir nicht vorstellen kann. Zum Beispiel warum das nach dem Zweiten Weltkrieg so eine starke Wirkung entwickelt hat und warum man sich so dermaßen unterkriegen hat lassen. Ich tue mir schwer das zu beurteilen.
Findest du es wichtig darüber ein Urteil zu haben, für das, was deine Aufgabe in der Partei ist?
Was mich mehr beschäftigt und fasziniert, das liegt vielleicht auch an meiner Unbildung über die Zeit danach, ist das Scheitern vor dem Zweiten Weltkrieg, also die 1920er, weil hier, sehr heruntergebrochen, der Übergang von Lenin zu Stalin markiert wird. Bei allen Feinheiten, die man da sicher herausarbeiten kann, lässt sich doch eine grundlegende Differenz festhalten: Lenin macht Politik in den offenen Raum der Geschichte hinein und weiß, dass unsere Revolution nicht von Dauer sein wird, wenn sie nicht das Feuer in den industrialisierten Zentren entfacht. Hier liegt die Reflexion drinnen, dass man ein unglaubliches historisches Wagnis eingeht, das Scheitern kann…
…Ist das Projekt, das Lenin angefangen oder weitergeführt hat, gescheitert?
Man hat auf jeden Fall enorme Niederlagen erlitten. Ob es gescheitert ist, ist unklar, weil immer die Frage besteht, ob es wieder Kräfte geben wird, die sich dieser grundsätzlichen Position verschreiben werden oder nicht. Momentan sieht es so aus, als wäre das Projekt gescheitert, vielleicht nicht wegen dem Projekt selbst, aber das ist schwer zu sagen. Die grundlegende Differenz ist, und das versetzt mich immer wieder in ein Staunen, dass Stalin genau dieses von Lenin aufgemachte Verhältnis der Politik in den offenen Raum hinein, was meinem Politikverständnis entspricht, umdreht und sagt, Lenin hätte die russische Revolution ja nie gemacht, wenn wir in Russland den Sozialismus nicht allein realisieren könnten. Das ist für mich die grundlegende Differenz und die eigentliche Frage: Ist Geschichte offen und deswegen auch offen für eine kommunistische Intervention, Politik und Praxis oder ist sie das nicht?
Ist dieses Geschichtsverständnis, das du beschrieben hast oder auch dein grundsätzlicher politischer Zugang zu dieser Geschichte kontrovers innerhalb der KPÖ?
Es ist wenig diskutiert und die Zugänge dazu sind sehr unterschiedlich. Man könnte auch behaupten, die Revolution in Russland sei geglückt, man konnte sich gegen die Kräfte des Bürgerkriegs und der westlichen Interventionsmächte durchsetzen und etablieren. In dieser Situation nach einer Stabilisierungsideologie zu suchen ist mir nicht völlig uneingängig. Nur, dass es gelang, diese an sich fragwürdige Legitimationsideologie zur Stabilisierung der Revolution in Russland entgegen aller Erfahrung und Kampfpraxis, in eine weltkommunistische Bewegung zu übersetzen, bringt mich zum Staunen über die kommunistischen Parteien und eben auch die KPÖ. Diese Resignation des Denkens, wie sie sich in der langen Treue zur Sowjetunion geäußert hat, ist auf einer individualpsychologischen Ebene vielleicht nachvollziehbar, aber auf einer politischen absolut fatal. Mir scheint, dass auch die Folgeerscheinungen nach dem Zweiten Weltkrieg davon abgeleitete Problemstellungen sind. Die Resignation des Denkens in der Orientierung auf die Sowjetunion, als das was man nun mal hat, erhält sich selbst über ihren Untergang hinaus, als sie eben nicht mehr das war, was man nun mal hat, in den diversesten ideologischen Formen und reflektiert sich in der bisherigen Praxis der kommunistischen Parteien.
Sitz des Globus-Verlags in Wien-Brigittenau, Parteiverlag der KPÖ zwischen 1945 und 1993; aufgenommen 1961.
Zur jüngeren Geschichte der KPÖ: Der Zerfall der Sowjetunion ist nicht spurlos an ihr vorüber gegangen. Bereits 1990 wollte ein Teil des damaligen ZK die Umwandlung der KPÖ in eine pluralistische Linke, was mehr oder weniger der Selbstauflösung der Partei gleichgekommen wäre. Seitdem gibt es immer stärkere Bestrebungen nach Reformen, die auch zu einer Art „Bruch“ zwischen der KPÖ Steiermark und der Bundes-KPÖ geführt haben. Wo würdest du dich zwischen dem scheinbaren Festhalten am marxistisch-leninistischen Erbe der Partei und ihrer Öffnung hin zu Neuen Sozialen Bewegungen verorten? Spielt diese Positionierung für dich überhaupt eine Rolle?
Was ich an der Politik der KPÖ Steiermark schätze, ist, dass sie in der Praxis die Erkenntnis verwirklicht hat, dass es für eine kommunistische Bewegung darum geht, überhaupt wieder das Vertrauen der Leute darauf zu gewinnen, dass man eine relevante Kraft in ihrem Leben sein kann. Über die konkrete Ausgestaltung dessen lässt sich sehr gut streiten, aber es gibt vieles, was sich übernehmen lässt. Ob das jetzt so sehr mit einem Festhalten am marxistisch-leninistischen Erbe zusammenhängt oder nicht eher daran, dass man in der Steiermark noch stärker und abrupter als anderswo mit dem Niedergang der Sozialdemokratie konfrontiert war, bei gleichzeitig besserer organisatorischer Ausgangsbasis der KPÖ als in anderen Bundesländern, würde ich in Frage stellen. Nichtsdestotrotz gibt es im Landesprogramm der KPÖ Steiermark traditionellere Bezugnahmen auf marxistische Positionen als im Bundesprogramm zu finden sind. Und bei aller Wertschätzung für die jahrzehntelange Arbeit aller Mitglieder, glaube ich in beiden Standpunkten nicht die Keimform dafür zu sehen, wie es insgesamt sein müsste, was mich jetzt nicht unbedingt klüger macht als die bisher Beteiligten. Die KPÖ Steiermark weiß selbst um die Grenzen ihres Politikstils und debattiert auch darüber, dass sich das ändern muss. Es ist auch nachvollziehbar, dass sich die Situation in der Steiermark nicht so einfach in anderen Bundesländern nachbilden lässt, ist die KPÖ Steiermark doch ein Ersatz für die dort niedergegangene Sozialdemokratie. Sie stellt jedoch damit ein Potential dar, einen stärkeren Resonanzraum für marxistische und klassenkämpferische Positionen zu stellen, als er in anderen Bundesländern gerade existiert.
Du hast erwähnt, dass es darum ginge, wieder Einfluss und Führung über gesellschaftliche Bewegungen zu übernehmen. Was ist deiner Meinung nach das Verhältnis einer marxistischen Partei zu gesellschaftlichen Bewegungen und zur Arbeiterklasse? Wozu gibt es sie? Was soll die eigentlich machen oder sein?
Reduziert formuliert, ergibt sich für mich aus der Analyse von Marx der Umstand, dass die ArbeiterInnenklasse auch heute noch die einzige Kraft ist, die die kapitalistische Produktionsweise aufheben kann und muss. Sie kann das, indem sie von der ArbeiterInnenklasse zum Proletariat wird, indem sie sich also politisch konstituiert. Weiters ergibt sich aus der Analyse, dass es aus der kapitalistischen Produktionsweise heraus genug Abgleitflächen der ArbeiterInnenklasse zu einem politischen Bewusstsein gibt, an die man als Linke anknüpfen kann, wie es auch vom Standpunkt des Proletariats aus mehr als genug Abgleitflächen gibt, als ArbeiterInnenklasse systemimmanent zu bleiben und es bei das System stützenden Forderungen zu belassen. In diesem Spannungsverhältnis, in dem es darum geht, die Herausbildung des Subjekts Proletariat zu unterstützen und zu führen, halte ich eine kommunistische Partei für unverzichtbar und auch nicht durch andere soziale Akteure irgendwie ersetzbar. Wenn man versucht, das konkret zu fassen, stehen wir, was breite Teile der ArbeiterInnenklasse betrifft, relativ kacke da und zwar eher so, wie man das vielleicht in Teilen Europas Mitte des 19. Jahrhunderts gehabt hat, also noch vor der Gründung von proletarischen Parteien der Arbeiterbewegung. Das heißt für mich, dass die Aufgabe der Partei in der Reflexion auf die Geschichte besteht und das eigene Scheitern – heißt: die Voraussetzungen der eigenen historischen Entstehung – zu begreifen. Es fehlen die Begriffe dafür, die nicht völlig akademisch durchsetzt sind: das, was man in Form von Kulturvereinen, der Gründung von Gewerkschaften oder in der Form einer Gegenöffentlichkeit für die ArbeiterInnenschaft gemacht hat, der Organisation des sozialen Lebens für jene Teile der Gesellschaft, die aus der bürgerlichen ausgeschlossen waren. Gleichzeitig sind wir jetzt nicht in der Mitte des 19. Jahrhunderts und könnten so tun als gäbe es keine KP, denn es gibt eine und die hat ihre Geschichte. Aber man muss darauf reflektieren, dass kommunistische Parteien nur deswegen überhaupt eine soziale Bedeutung hatten, weil sie über einen Resonanzraum verfügten, der die Fähigkeit hatte, im Widerstand zum System bestimmte Elemente des sozialen Lebens zu organisieren. Das war die Voraussetzung dafür, dass man überhaupt eine kommunistische Partei sein konnte. Deshalb geht es heute darum, genau solche Elemente wieder hervorzubringen. Dadurch, dass man eben eine kommunistische Partei ist, steht man vor der Aufgabe nicht einfach nur eine Partei zu sein, wie es einem die bürgerlich-repräsentative Demokratie vorschlägt, sondern eben auch präpolitische Aufgaben zu erfüllen hat.
Hat die KPÖ in ihrer heutigen Form die Fähigkeiten oder die Strukturen, die mitzubringen sind, um die Aufgaben zu bestreiten, die du jetzt skizziert hast?
Ich glaube, die KPÖ ist ein verhältnismäßig prädestinierter Ort dafür, um die Kräfte zu sammeln, die das können. Ich glaube, wenn man sich der Frage einer kommunistischen Bewegung, einer kommunistischen Partei verschreibt, ist es sinnvoll, an der Stelle anzusetzen, wo sie gegeben ist. Sie ist nicht prädestiniert dadurch, dass wir aktuell die fähigsten aller politisch Aktiven konzentrieren. Mir ist aber auch nicht bekannt, wo das sonst gerade der Fall wäre. Wir können in diesem Sinne nur durch Vorbildwirkung versuchen, das Angebot zu stellen, genau das wieder zu ermöglichen. Ich habe den Eindruck, dass sehr viel mehr Menschen als noch vor zehn Jahren auf der Suche nach einer Partei sind, die das tut, was ich vorhin beschrieben habe, vielleicht nicht genauso wie eben ausformuliert. Bei aller Wertschätzung der Arbeit der steirischen GenossInnen, ist es dort mindestens nur halb gelungen, aus dem „die Partei für die Menschen“ herauszukommen. Aber man hat zumindest im Bewusstsein der Menschen eine Präferenz dafür geschaffen, dass die KPÖ der Ort dafür sein kann, weil dort die Ansätze dafür da sind und dieses Verständnis zumindest symbolisch gelebt wird, auch wenn diese praktischen Ansätze noch nicht sehr weit reichen.
Mitglieder der KPÖ auf dem Aktionstag zum 100. Internationalen Frauentag am 19. März 2011 in Wien
Man kann also nicht so tun, als gäbe es keine kommunistische Partei. Gleichzeitig ist die KPÖ seit Jahrzehnten, wenn nicht länger, ein politisches Randphänomen. Daran ansetzend: Bestand für dich in deiner bisherigen politischen Laufbahn, deiner Einschätzung der Linken und der Welt zufolge jemals die Möglichkeit und/oder Notwendigkeit zur Gründung einer eigenständigen Partei?
Es war immer wieder ein Gedankenspiel von mir, allerdings gab es keine Situation, in der mir diese Gründung nicht wie eine Kopfgeburt vorgekommen wäre. Es kann natürlich sein, dass die Gründung einer Partei oder eines Wahlbündnisses (was auf der einen Seite natürlich etwas vollkommen anderes, auf der anderen aber durchaus auch einen Charakter in diese Richtung annehmen kann) im taktischen Horizont sinnvoll ist oder es zumindest so aussieht, aber aus dem eben erläuterten Verständnis einer Partei erscheint es mir absolut sinnlos, eine Partei aus einer Kopfgeburt heraus zu gründen. Das manchmal durchgespielte Gedankenspiel bestand darin, sich auszumalen, ob es denn sehr viel einfacher wäre, ein politisches Vorfeld für eine politisch unbefleckte Partei zu schaffen. Das ist allerdings ein zweischneidiges Schwert: Man gewinnt die vermeintliche Freiheit, sich mit der Geschichte der Linken nicht beschäftigen zu müssen, kommt aber als Kommunist ja immer wieder zu dem Punkt, dass man nun mal ein Kommunist ist und dementsprechend mit dieser Geschichte sehr wohl etwas zu tun hat, die auch materiell existiert. Es ist ja nicht so, dass man der einfach entkommen könnte, indem man sich jetzt anders nennt und indem man die Leute ausschließt, die mit den Vorurteilen oder Urteilen der Gesellschaft befleckt sind. Deswegen habe ich mir sicher immer wieder in meinen eitlen Momenten gedacht, ich wäre der richtige Typ, um eine Partei zu gründen, aber meistens hat es nicht sehr lange gedauert, bis ich mir gedacht habe, dass das eine Scheißidee ist, auf die man kommt, wenn man gerade zu lange in den Spiegel geschaut hat.
Nach der Eskalation der innerparteilichen Auseinandersetzungen der KPÖ rund um den 33. Parteitag 2004 agiert die KPÖ Steiermark weitestgehend autonom, teilweise auch konträr zur Bundes-KPÖ, dasselbe gilt auch für die 1970 gegründete KJÖ, welche der Partei der Arbeit sowie der steirischen KPÖ nahesteht. Der Versuch der Bundes-KPÖ mit der JL eine neue eigene Jugendorganisation aufzubauen, schon 2008 oder 2010, dieser Versuch, die KJÖ nach dem Bruch zu ersetzen und eine neue Jugendorganisation aufzubauen, nahm erst Fahrt an, als die JG mit den JL zusammen gingen und die JL 2018 neu gegründet haben. Wie ist heute das Verhältnis von der JL zur KPÖ? Ist die JL die Jugendorganisation der KPÖ?
Die JL hat sich aus dem Zusammenschluss der Jugendorganisation, die aus den Grünen rausgeflogen ist, und der damals existierenden Jugendorganisation der Kommunistischen Partei als parteiunabhängige Jugendorganisation neu gegründet und dieses Verhältnis in mehreren Beschlüssen und Maßnahmen gefestigt. Es spricht natürlich einerseits Bände, dass zwei führende Figuren bei der Gründung der JL in den neuen SprecherInnenrat der KPÖ nominiert und auch gewählt wurden, wie es andererseits auch Bände spricht, dass dem keine auch nur anstehende Zuordnung der JL an die KPÖ folgte. Das heißt, es handelt sich um ein Verhältnis, dass sich bisher in mehreren Wahlbündnissen artikuliert hat. Welchen Aus- oder Fortgang dieses Verhältnis nehmen wird, ist ungewiss, hängt vielleicht aber auch davon ab, wie sich die KPÖ weiterentwickelt.
Du warst Gründungsmitglied der JG und nach deren Rauswurf aus der Mutterpartei 2017 im Wesentlichen am Aufbau der JL beteiligt. Laut den Vereinsstatuten der JL enden sämtliche relevanten Mitgliedsrechte mit der Vollendung des 30. Lebensjahres. Soll die KPÖ zum neuen Ort für die werden, die für die JL zu alt sind?
Das ist für mich relativ einfach zu beantworten: Natürlich soll das so sein, ich bin ja schon dort. Wir sind aber relativ transparent, was den momentanen Zustand der Partei angeht, was eine der wenigen guten Karten ist, die wir gerade haben. Der Zustand der Partei ist momentan nicht der, den wir für eine kommunistische Partei gerne in ihren Fähigkeiten sehen würden. Das betrifft auch mehr sehr viel unmittelbarere oder systemimmanentere Fähigkeiten als die, die wir vorhin diskutiert haben. Wir sind dazu angetreten, diesen Zustand zu ändern, die KPÖ wieder kampagnenfähig, organisierungsfähig, interventionsfähig zu machen, aber sehen das eben auch als ein Projekt, das gelingen oder scheitern kann. So wertvoll mir die Genossinnen und Genossen der JL sind – und es wird sich in den nächsten zwei, drei Jahren für einige die Frage stellen, ob sie nach dem 30. Lebensjahr einen neuen Ort brauchen –, ist es immer auch eine Frage von Verantwortung, die man für andere Menschen übernimmt, wenn man sie in ein politisches Projekt einlädt: das heißt, auf der einen Seite zu sagen, wo man hin will, aber auf der anderen auch über den aktuellen Zustand Rechnung abzulegen. Momentan ist es noch eine sehr individuelle Entscheidung, ob man das Projekt als sinnvoll ansieht oder eben nicht. Auch wenn ich das natürlich nicht als so individuell sehe, weil die Chancen, dass es gelingt, besser werden, wenn man mehr Kräfte zur Verfügung hat, die Gedanken auch in die Tat umsetzen zu können und nicht nur zu wollen.
Mit dir und Sarah Pansy sind zwei Personen ins neue Führungsteam der KPÖ gewählt worden, deren politische Vergangenheit wesentlich vom Aufbau der JL mitgeprägt war. Welche Bedeutung hat deine, oder eure, politische Vergangenheit bei der JL für eure Arbeit als Bundessprecher der KPÖ?
Ich würde sagen, dass meine gesamte politische Geschichte eine Bedeutung dafür hat, welche Arbeit ich jetzt in der KPÖ mache. Ähnlich bei der JL. Sicher gab es dort Momente von Selbstüberhöhung, kombiniert mit einer Halb- oder Nichtverständigung darüber, wo man eigentlich in der Gesellschaft steht. Gleichzeitig ist es ein Ort, in dem Menschen unheimlich viel gelernt haben, darüber wie sie die Verhältnisse interpretieren können, gerade deshalb, weil ihnen die Schwierigkeiten bewusst sind, auch eine gewisse Skepsis gegenüber dem Projekt, dass ich gerade angehe, an den Tag legen. Die Leute haben unheimlich viele Fähigkeiten gelernt, die ihnen im Zweifelsfall eine gute bürgerliche Karriere ermöglichen, ihnen aber auch die Möglichkeit geben, in einer entstehenden Partei eine wertvolle Rolle zu spielen. Das Projekt hat eine Offenheit in sich, die man mitnehmen muss. Mit der Partei-Frage ist man nun an der Spitze angelangt. Man kann nicht mehr sagen: „Schauen wir, wohin das führt“, die Leichtfertigkeit geht verloren, wenn es um eine konkret kommunistische Partei geht. Darauf habe ich irgendwo mein Leben lang hingearbeitet. Was ich aus meiner Vergangenheit mitzunehmen versuche, ist, dass die momentanen Formen, die in der Linken vorherrschend sind, nicht einfach als Mosaik for granted zu nehmen sind, noch dass sie einfach vom Feldherrnhügel aus wegzuwischen sind. Es ist immer zu überlegen, was sich in ihnen aufgehoben hat, was in ihnen entwickelt wurde, was für die Neukonstituierung einer kommunistischen Partei und für die Neukonstituierung einer tatsächlich interventionsfähigen Linken brauchbar und wertvoll enthalten ist.
Warum sollte es eitler sein, eine neue Partei gründen zu wollen, als die KPÖ zu diesen Zielvorstellungen zu bringen?
Vielleicht ist es das gar nicht, aber im Rahmen von konstituierten Parteien gibt es etwas, was dir sonst nur durch eigene Gedankenkraft möglich ist: nämlich immer wieder mit den eigenen Grenzen konfrontiert zu werden, mit den unterschiedlichsten historisch gewachsenen Ansprüchen, die die Parteimitglieder an eine kommunistische Partei haben. Die sind natürlich mal so, mal so einzuschätzen, aber man wird immer wieder vor die Fragen gestellt: Wie muss ich mich da eigentlich verhalten? Was wird dem gerecht, wo ich hinwill? Und was ist mein Auftrag? Immer wieder wird man konfrontiert mit der Geschichte der Partei. Beispielsweise haben wir für die Arbeit der Partei im Bereich Wohnen vorgeschlagen, verstärkt aktivierend zu arbeiten und dafür Hausbesuche zu machen, weil wir gesehen haben, dass dies bei Sanders und Corbyn in der Kampagnenführung erfolgreich war. Daraufhin haben mir Mitglieder gesagt, dass man das in den 30ern und 70ern auch schon gemacht habe und gefragt, warum das jetzt genau der Schlüssel zum Erfolg sein soll. Ich habe schon eine gewisse Demut vor all den Dingen, die ich vielleicht nicht bedenke und vielleicht auch im Bedürfnis und der Aufgabe, andere zu motivieren, ausblende, was eigentlich wichtig ist. Hier ist die Auseinandersetzung mit Parteimitgliedern, die länger in der Partei sind als ich alt bin, etwas, was eine gewisse Sicherheit gibt. Eine Erfahrung, die in der Partei materialisiert und personalisiert ist, die mit einem neu gegründeten Projekt nicht möglich wäre. Umgekehrt liegen mir an Generationenerfahrung mehr die Versuche, eine Partei zu gründen. Sei es die deutsche Linkspartei, die natürlich ihre Vorläufer hat, aber auch Parteien, die ganz aus dem Nichts entstanden sind, wie die Liste Jetzt in Österreich. Aber auch das war ja eine Abspaltung der Grünen. Eher entsprechen dem Bild der Neubegründung einer Linken Podemos in Spanien und Syriza in Griechenland, wobei auch Syriza institutionelle Vorläufer hatte. Podemos und Syriza ist es geglückt, zur Zeit einer extrem zugespitzten Situation der Staatsschuldenkrise, die Idee zu generieren, dass es Staaten oder linke Parteien des europäischen Südens gibt, die in der Lage sind, das europäische und internationale Kapital herauszufordern und der Europäischen Union in ihrer neoliberalen Ausgestaltung etwas entgegenzusetzen. Aber wie lange hat es gedauert, bis sie einfach stranguliert wurden? Bei Syriza waren es, wenn überhaupt, drei Wochen. Die Frage nach dem Charakter einer Neugründung ist anscheinend entscheidend. Diese Neugründungen hatten bei schnellem Erfolg und schnellem Wachstum den Nachteil, dass es bei diesem super-dynamischem Aufbau nie gelingt, die gesellschaftliche Verankerung mitzuproduzieren, die notwendig wäre, um tatsächlich ernsthafterweise Nein sagen zu können, weil man dann auch Nein machen könnte. Die Griechen haben Nein gesagt, die griechische Regierung hat versucht, Nein zu sagen und die von Varoufakis genannte „nukleare Option“ gezogen und man ist in sich zusammengebrochen. Eine kommunistische Partei, die es ernst meint, dass sie den Kapitalismus abschaffen kann, muss in der Lage sein, Nein sagen zu können.
Podemos hat gerade bei der Regionalwahl in Madrid im Mai 2021 ihr schlechtestes Ergebnis eingefahren und Pablo Iglesias sämtliche politischen Ämter zurückgelegt. Ist für dich die Lektion aus diesen Versuchen der Neugründungen, die, in der KPÖ zu arbeiten?
Nein. Die Lektion für mich ist, wie vorhin erwähnt, dass eine Partei immer einen Resonanzraum braucht und eine kommunistische Partei im Sinne des Manifests, wie auch immer die Bewegung zur Überwindung der kapitalistischen Verhältnisse konstituiert ist, nur dann in der Lage ist, diese Aufgabe zu erfüllen, wenn sie sich ihrer eigenen Voraussetzungen bewusst ist. Ob die KPÖ der richtige Ort ist, um sich diese Voraussetzungen selbst zu schaffen, darüber habe ich keine Gewissheit, sondern nur ein aus den bisherigen Erfahrungen herauswachsendes Dafürhalten und den Grundsatz, den ich immer gehabt habe: Wenn man eine Möglichkeit bekommt, die man für offen hält, dann nutzt man sie. Ich bin mir nicht sicher, ob nicht ein größerer Schaden aus der Angst heraus entsteht, dass die Situation schon geschlossen ist und man dadurch diese Aufgabe erst gar nicht annimmt.
Was sind die Gründe oder Erfahrungen, die dich zur Einschätzung bringen, dass die KPÖ zu dem Ort werden könnte, der deiner Formulierung nach ihre eigenen Voraussetzungen als Partei konstituieren könnte?
Es gibt mehrere Vorteile und Stärken, die die KPÖ im Vergleich zu allen anderen Akteuren der österreichischen Linken momentan hat. Der erste liegt tatsächlich im Namen. Die KPÖ ist zwar in ihrer momentanen Positionierung deutlich unklarer als sie es sein sollte, aber in der gesellschaftlichen Wahrnehmung ist mit dem Namen deutlich mehr gesagt als bei den meisten anderen Selbstbezeichnungen. Das wurzelt weniger in programmatischen Vorstellungen, die an uns herangetragen werden, als in einer bestimmten Art der Einschätzung. In Reflexion auf den zumindest sehr lange wirkenden Antikommunismus gibt es die Idee, dass eine Person, die sich für die Kommunistische Partei wo hinstellt, es sehr ehrlich meint, denn die Fantasie dazu ist, dass man damit so ziemlich alle bürgerlichen Karrierewege abgeschnitten hat. Der zweite Vorteil ist, dass die KPÖ eine immer noch österreichweite Struktur und damit einem Kernproblem der österreichischen Linken etwas voraushat. Diese will meist von Wien aus mit kolonialem Habitus irgendwo anders Fuß fassen und stellt dann fest, dass die Leute Wien ja gar nicht so klasse finden. Dass sich diese Strukturen erhalten haben, ist ein relevanter Unterschied. Diese gilt es weiterzuentwickeln, natürlich an einigen Punkten auch zu verändern und weiterzutreiben, aber es gibt „natürliche Ankerpunkte“. Damit gibt es aber auch österreichweit geteilte Erfahrungen: zum Beispiel in der Steiermark oder in Salzburg, aber auch in vielen kleinen Gemeinden, die der KPÖ nicht diese Idee einer Großstadt-Linken geben. Das ist in einem der ländlichsten Staaten Europas etwas durchaus Relevantes. Als Drittes: Es gibt einem selbst eine gewisse Festigkeit für etwas sprechen zu können, was dem Namen nach dem entspricht, wo man hinwill und hat damit wiederum eine gewisse Strahlkraft für uns als KPÖ. Alle Probleme, die wir vorher hinsichtlich der Geschichtlichkeit der KPÖ besprochen haben, lassen sich ebenso begeistert ins Feld führen. Mit allen Problemen und damit notwendig einhergehenden Irrtümern hat es dennoch auch etwas Ermutigendes in derselben Parteifamilie wie Lenin und Luxemburg zu sein. Es bringt eine Ernsthaftigkeit mit sich, die einen antreibt, sich der Herausforderung zu stellen, wenn man sich vergegenwärtigt, in einer Partei zu sein, in der so viele Leute im Widerstand gegen den Nationalsozialismus in jeglicher Form engagiert waren und viele dabei ihr Leben gelassen haben und ermordet wurden. Bei aller Kritik an der Praxis und am Selbstbild sowie am Selbstverständnis, die ich an den Genossinnen und Genossen in der Partei bringen würde, liegt etwas Stabilisierendes darin, in einer Partei aktiv zu sein, die für viele Leute von der Wiege bis zur Bahre etwas war, woran sie geglaubt haben – auch wenn das immer mal wieder etwas anderes war –, weil die gesellschaftliche Entwicklung der letzten 15 Jahre, der ich gefolgt bin, sehr oft ganz unterschiedliche Einschätzungen dazu plausibel hat erscheinen lassen, welche Art von Linke es denn braucht.
Das führt mich zu meiner letzten Frage: Wo soll die KPÖ in 10 Jahren stehen? Was soll die KPÖ in 10 Jahren deiner Ansicht nach sein?
Gelungen ist uns, was wir uns vorgenommen haben, wenn wir in 10 Jahren in allen zentralen Lebensbereichen – heißt: Wohnen, Arbeit, Gesundheit und noch ein paar anderen Bereichen – einen relevanten Teil von Menschen organisiert haben, die diese Bereiche durchwegs bearbeiten und damit auf einer sehr praktischen Ebene die Interventionsfähigkeit der Partei darstellen. Gelungen ist uns, was wir uns vorgenommen haben, wenn es eine Selbstverständlichkeit geworden ist, dass die KPÖ etwas zu den aktuellen Geschehnissen sagt, das man versteht und oft genug etwas vorantreibt, sodass es zu aktuellen Geschehnissen kommt. Gelungen ist uns, was wir uns vorgenommen haben, wenn zu dieser Zeit eine relevante Zahl von Menschen in einer wie auch immer qualifizierten – im Wesentlichen natürlich medialen – Öffentlichkeit ohne verschämten Grinser, halb von Schuldgefühlen oder irgendwo zweifelnden Blicken nicht nur sagen können, dass sie Kommunistinnen und Kommunisten sind, sondern dass die kommunistische Perspektive, die man vorschlägt, diesen und diesen Charakter hat – wenn man also in 10 Jahren in der Lage ist, programmatisch mehr zu dem zu sagen, was kommunistische Partei und Bewegung heißt als heute und das, was man sagt, auf mehreren Ebenen einen Resonanzraum findet. |P