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The Decline of the Left: 2001

The Decline of the Left

Der Niedergang der Linken im 20. Jahrhundert

Platypus Review 17 | November 2009

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2001

Spencer Leonard

Die Preisgabe emanzipatorischer Politik in unserer Zeit bedeutet nicht etwa, wie frĂŒhere revolutionĂ€re Denker gefĂŒrchtet hatten, die Preisgabe der Revolution zu Gunsten des Reformismus. Vielmehr ist auch der Reformismus gestorben, weil niemand mehr die revolutionĂ€re Überwindung des Kapitals fĂŒr möglich erachtet. Da die Herausforderung, eine menschliche Gesellschaft zu erreichen, die ĂŒber das Kapital hinausweist, aufgegeben wurde, nimmt keine Politik ihren Platz ein, die den Namen verdient hĂ€tte – noch könnte sie dies. Das Projekt der Freiheit ist heute gĂ€nzlich von der BildflĂ€che verschwunden. Denn wĂ€hrend bĂŒrgerliche Denker wie Hegel ohne Zweifel bei ihrer Identifikation des Kapitals mit Freiheit falsch lagen, haben sie dennoch begriffen, dass sich die Frage der Freiheit nur im Bezug auf die Kapitalproblematik stellt. Indem sie zum ersten Mal eine edle Wildheit realisiert , die nie zuvor da war, ist die heutige Menschheit in die Unmittelbarkeit einer zweiten Natur versunken.

Das Jahr 2001 selbst kam spĂ€t und schnell gealtert. Trotzdem bleibt es bedeutungsvoll, da es den Moment darstellt, da das Licht der Freiheit endgĂŒltig erloschen ist und die Menschheit ihre FĂ€higkeit einbĂŒĂŸte, zwischen Tag und Nacht zu unterscheiden. Denn seit 2001 kann jeder erkennen, dass wir, wie es der marxistische Denker und Kritiker der Neuen Linken, Moishe Postone, genannt hat, in einer Zeit der Ohnmacht leben – oder blumiger noch, wie die Spartacist League unsere Zeit beschreibt, nĂ€mlich als „die senile Demenz des Post-Marxismus“.[1] Trotzdem vergeht die Zeit weiterhin und intensiviert sich auch auf gewisse Weise; Geschichte – verstanden als die Zeit, in der die Aufgaben der Freiheit noch verfolgt werden können – scheint zu einem abrupten Halt gekommen zu sein. Das ĂŒberrumpelte die meisten auf der Linken, obschon man bei vielen eine große Erleichterung darĂŒber vermuten kann, dass diese Herausforderung endlich und ein fĂŒr alle Mal aufgegeben werden kann.

Im Jahre 2001 ist das akkumuliert, was ihm zeitlich vorausging: eine Masse törichter Fehltritte und verschwendeter Möglichkeiten, die in drei konstituierende Momente zerfallen. Jede dieser drei Etappen des „Todes der Linken“ endet passenderweise mit der Zahl 9: 1979,1989,1999. Jede Etappe reprĂ€sentiert die Stufe eines Prozesses der Regression, der letztendlich in einer weit bedeutungsvolleren Krise kulminiert ist, als die gegenwĂ€rtige ökonomische, die unsere Diskurse so sehr bestimmt: die Krise der Linken, deren Chance auf Besserung gegenwĂ€rtig verzweifelnd klein ist. Vielmehr als ein bloßes Krisendatum in der Geschichte der Linken ist 2001 das Jahr, in dem die Krise der Geschichte deutlich wurde und - auch wenn nur wenige sie bemerkten und den Geruch wahrnahmen - es unverkennbar wurde, dass von der Linken heute nur ein „stinkender Leichnam“ ĂŒbrig geblieben ist. Es war das Jahr, in dem die GrĂŒndung von Platypus eine Notwendigkeit wurde, obgleich abermals das Bewusstsein den Ereignissen hinterherhinkte.

Die Iranische Revolution 1979 war und ist eine Katastrophe. Seit dem Triumph der AnhĂ€nger Khomeinis ist das Land von einem Regime kontrolliert, das weit rĂŒckstĂ€ndiger und repressiver ist als seine VorgĂ€nger; das Land wird in einer Weise regiert, die sogar noch reaktionĂ€rer ist als unter dem Schah. Als sich selbst die stalinistische Tudeh-Partei der Khomeini-Fraktion unterordnete, war der Weg zur islamistischen Herrschaft mit Leichen von verratenen iranischen Arbeitern und selbstbetrogenen Stalinisten gepflastert; gerade in diesem Moment ĂŒbertönte die westliche Linke alle WidersprĂŒche mit ihrem ohrenbetĂ€ubenden Applaus fĂŒr den Schlag gegen den US-Imperialismus. Als schließlich die unorganisierten stĂ€dtischen Massen und die Klasse der Grundbesitzer sich unter FĂŒhrung der Islamisten zusammenschlossen, um die Tudeh-Partei und andere linke Gruppen zu zerschlagen, verkannte die Linke der kapitalistischen Zentren die brodelnde Katastrophe gĂ€nzlich – nicht zuletzt da sie von einer trĂŒgerischen Verehrung der Dritten Welt geblendet war. David Greason bemerkte dazu, dass bis kurz vor der Iranischen Revolution die allermeisten einfach angenommen hatten, dass eine Bewegung gegen das Regime des Schah zweifelsfrei von links kommen mĂŒsste.[2] Völlig ausgeblendet wurde die Wirklichkeit von Khomeinis Variante des Islamismus, einer reaktionĂ€ren Ideologie nĂ€mlich, und nicht, wie es sich die westliche Linke gerne ausgemalt hat, lediglich die authentische „kulturelle Äußerung“ der Massen. Schließlich akzeptierte die westliche Linke auch noch den Aufstieg von Khomeinis Mullahs zu den unumstrittenen Machthabern im Iran. Die Linke war einfach nicht in der Lage Khomeini als eine Gefahr wahrzunehmen, die nicht weniger ernsthaft war als der Schah. Stattdessen wurde er gefeiert als der Vereiniger unterschiedlichster Strömungen der Massen. Die Kritik am Kapitalismus wurde ersetzt durch eine Kritik des amerikanischen Imperialismus, wodurch einflussreiche Strömungen in der Neuen Linken den Anti-Amerikanismus zu einem Grundpfeiler linken Denkens umgemodelt hatten. Dies verhinderte ebenso eine adĂ€quate Analyse der Iranischen Revolution wie des sogenannten „Widerstandes“ der Mujahideen gegen den Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan. Anstatt also die Iranische Revolution als konkretes Ereignis zu analysieren, wurde die Niederlage der Linken einfach mit den Mitteln der Neuen Linken in einen „Sieg“ umgedeutet. Ein klarer Akt der SelbsttĂ€uschung wie sie damals beinahe zur zweiten Natur einer Generation geworden war, die, trotz ihrer vordergrĂŒndigen Darstellung als Anti-Stalinisten, weiterhin das stalinistische Idol des verwirklichten Faktums verehrte. Entsprechend begrĂŒĂŸten Ikonen der Neuen Linken wie Michel Foucault die Islamische Revolution als reprĂ€sentativ fĂŒr eine neue „spirituelle“ Politik, die angeblich frei von jeglicher instrumenteller RationalitĂ€t war, die in Ost und West wĂ€hrend des Kalten Krieges vorherrschte.

Auch andere Ereignisse aus der Zeit um 1979 herum verdeutlichen den Verfall und die Desintegration der Linken: so z.B. die unkritischen Reaktionen gegenĂŒber der polnischen Solidarnosc-Bewegung sowie dem Widerstand der Mujahideen gegenĂŒber der sowjetischen Intervention in Afghanistan. Beide Ereignisse fanden breite UnterstĂŒtzung auf Seiten einer verwirrten Linken und wurden begleitet von Parolen, die nun aus Scham vergessen sind, wie: „Zehn Millionen polnische Arbeiter können sich nicht irren!“ oder „Allah-u-Akbar!“ Die Linke scheiterte daran, den Konservatismus, der sich vor ihren eigenen Augen zu manifestieren begann, zu erkennen und wurde damit selber vom Rechtsruck mitgerissen. 1979 war es selbst fĂŒr viele FĂŒhrungsfiguren der Neuen Linken unklar geworden, wie man das Projekt der Freiheit weiter vorantreiben könnte. Fred Halliday berichtet von einer Unterhaltung, die er mit seinem Redaktionsgenossen des New Left Review, Tariq Ali, gefĂŒhrt hatte. Beide waren gerade dabei, politisch auseinander zu driften, als Halliday Ali folgendes sagte: „Gott, Allah, rief uns beide zu sich und sagte uns: ,Einer von euch soll nach links rĂŒcken, der andere nach rechts.‘ Das Problem war, dass er uns nicht sagte, wer wohin rĂŒckte. Vielleicht wusste er es nicht einmal selber!“ Halliday fĂŒgt noch an: „Tariq lachte. Er verstand genau, was ich sagte, und bestritt es auch nicht.“[3]

Diese Praktik der SelbsttĂ€uschung, des unkritischen Abfeierns vermeintlicher Revolten gegen die Verdinglichung und der RĂŒckzug vom Projekt der Freiheit, wurde noch einmal in der zweiten Phase, die zum Jahr 2001 hinfĂŒhrte, deutlich, nĂ€mlich beim Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1989. Der Zusammenbruch war der letzte, antiklimaktische Akt eines gescheiterten Versuchs, das KapitalverhĂ€ltnis zu ĂŒberwinden, der im Jahr 1917 gestartet worden war. Der folgende Rechtsruck in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion war außerdem darum bemerkenswert, da auch in diesem Fall die Linke kein grundsĂ€tzliches Umdenken einleitete. Stattdessen wurde der Zusammenbruch als die Wiedergeburt der Freiheit gefeiert, so als ob es sich einfach um die Entstalinisierung der Revolution handelte und nicht um eine grundsĂ€tzliche Etablierung des Neoliberalismus in Russland. Kaum ein Gedanke wurde dem nun endgĂŒltigen Scheitern des historischen Bewegungsablaufes der Oktoberrevolution gewidmet, der, in welch degenerierter Form auch immer, die emanzipatorischen Impulse von Marx, Engels, Luxemburg und Lenin konserviert hatte. Im Gegenteil, die Zombie-Linke gratulierte sich 1989 wohlgefĂ€llig fĂŒr einen scheinbaren weiteren Erfolg des Anti-Autoritarismus wie er seit den 1960ern in Mode war. Indem sie ĂŒberdies feierten, was sie hĂ€tten analysieren sollen, halfen dominante Strömungen auf der Linken dabei, den Neo-Zarismus zu legitimieren, der aus den Ruinen der Sowjetunion emporwuchs. Im Jahr 1989 wurde der Kapitalismus selber als Emanzipation gefeiert – das Spiegelbild der Degeneration des Marxismus in der Sowjetunion hin zu einer Ideologie, die den Status Quo affirmierte, und in Verkennung des eigentlich emanzipatorischen Potentials des Kapitalismus.

Dann war da noch die dritte Phase des endgĂŒltigen Niedergangs der Linken, die im Jahre 2001 ihren Höhepunkt erreichte: nĂ€mlich 1999 als Jahr der Anti-Globalisierungsproteste in Seattle. Dieses Ereignis stellte den Sieg unserer gegenwĂ€rtigen „post-politischen“ Aktivismuskultur dar, die Liza Featherstone, Doug Henwood und Christian Parenti passend „Aktivist-ismus“ nennen.[4] Die Platypus-Mitglieder Ben Blumberg und Ian Morrison bemerkten, sowohl in Bezug auf den Aktivist-ismus im Allgemeinen wie auch auf den neuen Anarchismus, der die VorgĂ€nge in Seattle dominierte, im Besonderen: „Heute zelebrieren Demonstranten einfache Schubsereien mit der Polizei als Erfolge (
) Jeder KnĂŒppelschlag dramatisiert den Unterschied zwischen den Demonstranten [und der Gesellschaft, in die sie integriert werden.]“[5] Man tut den Demonstranten kein Unrecht an, wenn man, wie Blumberg und Morrison argumentieren, behauptet, dass sie „Polizeigewalt provozieren wollen, um ihre eigene Unterwerfung unter die AutoritĂ€t zu sensationalisieren.“ In diesem Fall fand der Regress, den man bereits in den 60ern hatte beobachten können, seine endgĂŒltige Vollendung.

Indem sie nicht nur das Scheitern der Linken der 60er Jahre wieder neu auffĂŒhren, sondern auch deren DefĂ€tismus, bemĂŒhen sich die Demonstranten aus der Folgezeit von Seattle nicht einmal mehr um das alte Gerede von Studenten oder der Jugend als neuer „revolutionĂ€ren Kraft“: diese neuen Möchtegern-Radikalen benötigen nicht einmal mehr ausgearbeitete VerklĂ€rungen ihres Scheiterns. Stattdessen leben sie auf eine entwaffnend offene Art den Gestus einer unzufriedenen Mittelklasse-Jugend aus, fĂŒr die der Terminkalender voller internationaler Handelskonferenzen den Platz von Rock-Konzert-Touren eingenommen hat - als Ort einer weitschweifigen anti-autoritĂ€ren Subkultur. Diese Aktivisten-Generation erfĂŒllt die niedrigen Erwartungen ihrer politischen Eltern anstatt sie abzulehnen; nĂ€mlich, dass sie sich entweder betĂ€uben sollten mit den VergnĂŒgungen, die der Neoliberalismus anbietet – „Sex, Drugs, and Rock n‘ Roll“ – oder sich aus reinem VergnĂŒgen fĂŒr eine Revolution einsetzen sollten. Erst in der neuen Protestkultur kann man beides zugleich tun und erreicht dabei lediglich die Sensationalisierung seiner eigenen Unterwerfung unter die AutoritĂ€t, von der Blumberg und Morrison sprechen. Politisch erreichte die BegrĂŒĂŸung des Todeskultes, die die vorherrschende linke Antwort auf 1979 war, ihren Anti-Klimax in einem vollstĂ€ndig romantisch-reaktionĂ€ren Widerstandsgehabe, einem Anti-Modernismus sowie im Faible der Anti-Globalisierungsbewegung fĂŒr Anarchismus im Stile des „schwarzen Blocks“ und „Turtle Protest“.

Historisch war die Linke eine Folge bĂŒrgerlichen Radikalismus‘, die in Marxens Selbstkritik des utopischen Sozialismus gipfelte. Dieser bĂŒrgerliche Radikalismus isoliert Geschichte als Problematik und Freiheit als ihr Projekt. Marx verstand, dass der Kapitalismus eine Frage aufwarf, die nur in seiner eigenen Überwindung beantwortet werden konnte. Auf Ă€hnliche Weise argumentiert auch Postone, der erklĂ€rt, dass die proletarische Gesellschaft - d.h. die Gesellschaft von warenproduzierenden Waren - â€žĂŒber sich hinausweist“. Doch der Regress ist nun sogar soweit fortgeschritten, dass kritische Einsichten wie die Postones nur noch die Sache einiger weniger Intellektueller sind, wĂ€hrend die Arbeiterbewegung (als notwendige Vorbedingung praktischer linker Politik wohlgemerkt) weltweit in die Flucht geschlagen ist. Es geht dabei nicht darum, lediglich einen wissenden Pessimismus zum Ausdruck zu bringen, sondern den wirklichen Charakter unserer Zeit zu erkennen. Platypus reitet auf dem „Tod der Linken“ herum, damit wir uns gemeinsam an die Arbeit machen können, diese Linke wiederzubeleben. Die Rekonstitution der Kritischen Theorie ist die spezifische Aufgabe, der sich Platypus gewidmet hat; diese ereignet sich jedoch nicht einfach unter selbst ausgewĂ€hlten Bedingungen, sondern unter Bedingungen, die wir aus der Vergangenheit geerbt haben. In der Tat kann Theorie nicht neu formuliert werden, indem man mit ein paar neuen ZusĂ€tzen die vermeintlichen MĂ€ngel vergangener Theorie ergĂ€nzt, sondern einzig und allein dadurch, dass wir uns tatsĂ€chlich durch die Geschichte der Linken hindurch arbeiten. |P


[1] David Greason, "Embracing Death: The Western Left and the Iranian Revolution, 1978–83," Economy and Society 34 (February 2005): 105–140.
[2] Fred Halliday, “Who is Responsible? An Interview with Fred Halliday,” interview by Danny Postel, Salmagundi 150–151 (Spring–Summer 2006). Available online at <cms.skidmore.edu/salmagundi/backissues/150-151/halliday.cfm>.
[3] Liza Featherstone, Doug Henwood, and Christian Parenti, “‘Action Will be Taken’: Left Anti-Intellectualism and its Discontents.” Available online at <www.leftbusinessobserver.com/Action.html>.
[4] Benjamin Blumberg and Ian Morrison, “Violence at the RNC,” Platypus Review 7 (October 2008).
[5] Ibid.